Nie wieder ist jetzt
Warum Deutschland sich verfassungsrechtlich für den Schutz jüdischen Lebens verantwortlich machte, ist durchaus sinnvoll und nachvollziehbar. Was ich seit 4 Wochen nur schwer ertragen kann, ist die Tatsache, dass Politiker aller Paletten, die allgemeine Presse und auch viele meiner Kollegen und Genossen dort zu dem gegenwärtigen Völkermord in Gaza schweigen oder schlimmer noch, sie ziehen es vor, die rechtsradikalen Motivationen der israelischen Regierung und ihre kriegsverbrecherischen Entscheidungen gegenüber den grundlegenden Menschenrechten der palästinensischen Zivilbevölkerung wie Zugang zu Wasser, Nahrung, Unterkunft und medizinischer Versorgung öffentlich bedingungslos zu verteidigen.
Dass es einen unerträglich wachsenden Antisemitismus im Land gibt, ist nicht fragwürdig und nicht überraschend, denn er geht Hand in Hand mit dem Abbau der Sozialdemokratie durch die Regierungen der letzten Jahrzehnte, mit der Durchsetzung und dem Export von Konzepten wie Flexibilisierung und unbegrenzter Produktivität, bis hin zum aktuellen Ende des allgemeinen Rechts auf Wohnen, Spardiktat und Diktatur der Märkte; Es war sehr schön und nützlich für die reichsten Menschen auf dem Planeten, Wirtschaftsmigranten und Flüchtlinge aus aller Welt mit offenen Armen zu empfangen: Wunderbare billige Arbeitskräfte, mehr oder weniger qualifiziert. Aber die wachsende soziale Ungleichheit, die Gründung neuer und unkontrollierterer Ghettos - ohne wirksame Integrationspolitik, um sie aufzulösen, sondern im Gegenteil, radikalere Kürzungen der sozialen Unterstützung, um ihre schädlichen Auswirkungen zu bekämpfen - und die daraus resultierende Fremdenfeindlichkeit, die beinahe überall in der Bundesrepublik jetzt latent vorhanden ist, sind weniger verdaulich. Der Aufstieg des weißen Rechtsradikalismus ist nun ebenso wie der islamische Radikalismus auf dem Vormarsch, im Gegensatz zu der Fähigkeit der meisten guten Bürger, die Ursprünge der entsetzlichen Ablehnung westlicher Werte und des Hasses auf die deutsche Kultur durch diejenigen, die dankbar sein sollten, zu verstehen.
Ich bin diesem Land dankbar, in dem ich 15 Jahre lang gemütlich gelebt habe, als in meinem Land der lokale Neoliberalismus dazu führte, dass ich auswandern musste, denn in Deutschland gibt es immer noch eine soziale Versorgung für alle und die Hoffnung, im Krankenhaus aufgenommen zu werden, wenn ich krank bin, oder mich aufwärmen zu können, wenn mir kalt ist. Aber die Wahrheit ist: Hätte ich mich bei Covid 19 nicht entschlossen, in mein Heimatland zurückzukehren, würde ich es jetzt wahrscheinlich ernsthaft überlegen. Es gibt eine Art von Solidarität, die man in dieser so genannten Erste-Welt-Zivilisation auswendig gelernt hat, oder eine bestimmte Kälte angesichts des Leids der anderen, die ich nicht ganz nachvollziehen kann.
Angesichts der wahllosen Tötung des palästinensischen Volkes und seiner effektiven Vertreibung aus dem zu Unrecht besetzten Gebiet reagiert Deutschland nicht so viel wie die meisten anderen privilegierten Länder und Bevölkerungen Europas und der Welt (und die Vereinten Nationen sogar), mit Trauer um die Opfer des unfassbaren Angriffs der Hamas, aber auch mit Empörung über die Kriegsverbrechen eines Staates, der systematisch das internationale Recht missachtet - einschließlich Millionen von Juden überall, die die mörderische Regierung Israels ablehnen, die Palästina seit Jahrzehnten von der Landkarte tilgen will -, sondern mit absurden Lobpreisungen der angeblichen Menschlichkeit des Netanyahu-Regimes und Verboten von Solidaritätskundgebungen, Flaggen oder Symbolen für Palästina. All dies vor Generationen von Arabern, die es aufgenommen hat und sich bisher wenig um ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen, ihr Erlernen der deutschen Sprache und Kultur oder gar ihr Recht auf Staatsbürgerschaft gekümmert hat, insbesondere im Fall der palästinensischen Kinder, die in Deutschland geboren wurden und nie das Recht auf irgendeine Staatsbürgerschaft hatten, was ihnen keine andere Wahl ließ als Kriminalität und schließlich Aufstand und religiöse Radikalisierung: Es ist eine Frage der Identität, ob man wirklich dazugehören kann oder nicht. Die Deutschen sagen nun zu Recht, dass sie das Leben der Juden verteidigen, aber verstehen die Politiker ebenso wie die antifaschistischen Aktivisten und die Mehrheit der Bürger, dass Terrororganisationen dort wachsen, wo es die meiste Verlassenheit und Unterdrückung gibt, und dass sie nicht ein ganzes Volk vertreten, so wie die israelische Regierung nicht alle Juden vertritt, die von gestern, heute und morgen? Das Existenzrecht Palästinas zu verteidigen und die anhaltende ethnische Sanierung zu verhindern, ist nicht dasselbe wie antisemitisch zu sein, und das sollte nicht erklärt werden müssen.
Der Rassismus in Deutschland beschränkt sich nicht auf den islamischen oder rechtsradikalen Antisemitismus, und darüber mache ich mir wirklich Sorgen, auch wenn ich nicht mehr dort lebe. Es geht um alle die ich kenne, egal ob jüdisch, katholisch, evangelisch, islamisch oder atheistisch, die glaubten, in Berlin eine Zuhause gefunden zu haben und die keine Expats sind, nicht nur kommen sie aus Süd- oder OstEuropa, sondern auch aus Südamerika, Afrika und dem Nahen Osten… Nicht, dass Rassismus ein Problem wäre, das nur in Deutschland auftritt; kein europäisches Land kann behaupten, frei davon zu sein. Auch kann kein europäisches Land heute behaupten, frei von Neofaschismus zu sein.
In Deutschland genauso wie in Portugal, was wir gerade entscheiden, zu sehen oder es zu vermeiden, zu sagen oder es zu schweigen, was einzukaufen oder nicht einzukaufen, selbst zu denken oder es nicht zu machen, hat sicherlich bestimmten Konsequenzen. Jetzt wie immer, nicht nur für uns selber, aber meistens für diejenigen, die bleiben werden.
In Faros Downtown gesehen
Algarve, Portugal
Aplauso grande, amiga! Ich kann dir nicht erklären wie scheiße es sich anfühlt, die einseitige Berichterstattung in DE. Zum Glück habe ich Zugang zu Südeuropäischen Medien und fühle mich nicht mehr so allein. Und trotzdem bringt mir diese Situation gerade zum zweifeln, ob ich doch antisemitisch bin ohne es zu wissen... Muchos besos, queridos. Espero visitaros pronto 💜
ReplyDeletehttps://open.spotify.com/track/2a3hIAgZ3U7M6inCfIXSFV?si=N7f_axLwQp2Wm_dypIyuiA Babel, by Hackedepiccioto
ReplyDeleteHola, my dear. Thank you so much for the music and your words! I can see how many people are reading this and where they're doing it from, but it's really rare to become a feedback; I'm glad it's such a good one. It makes me feel that is still worth sharing thoughts on social media, even with all the toxicity and apathy. Beijinhos!
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