Ich decke den Tisch!
„Ich decke den Tisch“ war ein gängiger Satz, verwendeten, in den schon längst vergangenen Stimmaufwärmübungen zur Betonung, mit dem gesamten Multikulti-Ensemble bei jeder Gefängnistheaterproduktion, an der ich während fünf erstaunlichen Jahren meines Berufsleben in Berlin teilgenommen habe. Den Tisch habe ich schon gedeckt, jetzt muss ich mich nur noch hinsetzen und endlich das Festmahl in Angriff nehmen.
Von den mehreren Dutzend, die ich vor Jahresende verschicken möchte, wandern fünfzehn Umschläge mit ihrem besonderen Inhalt seit Monaten von Oberfläche zu Oberfläche zwischen zwei Häusern hin und her – und es ist nicht nur der fehlende Geldbetrag oder die notwendigen Wege zur Post, die mich daran gehindert haben, dies bereits zu tun. Ich hatte mich aus Prinzip und um der Reinheit des kreativen Prozesses willen entschlossen, sie alle auf einmal zu verschicken, was nach einem kleinen mangelnden Interesse meiner geliebten Menschen und großen Lebensbeeinträchtigungen aufgrund von Selbstsabotage (was in der Psychologie wahrscheinlich als Phänomen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung beschrieben wird) vollständig unterbrochen worden war.
Seit ein paar Wochen arbeitet nun meine Freundin, diejenige, die einfach sagt, nicht nur in bürokratischer, sondern auch in kreativer Sicht mit mir für unseren Verein zusammen und sie hat mir auch gelesen. Dies war offenbar der glückliche, dringend benötigte Umstand, der mir endlich klar machte, dass es an der Zeit war, mich gegen das schlechte Gewissen zu wehren, das mich immer wieder zum Prokrastinieren verleitet... ungeachtet der letztendlichen Leistungssteigerung, die ich aus Verzweiflung erreichen kann, wenn eine Frist bevorsteht. Selten geschieht dies aber allein aus meinem eigenen Wille. Und es ist genau vor allem das Gefühl der Ungerechtigkeit, das sich aus der ganzen Aufmerksamkeit ergibt, die ich den Werken meiner Liebsten widme, im Vergleich zu der, die mir zuteilwird, von dem ich mich noch leider befreien muss.
Deshalb deckte ich [!] bereits den Tisch, den vierten sogar, den ich zur Verfügung habe, um mich auf verschiedenen Ebenen weiter zu entgiften.



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