Es schneit!

Ein paar Wochen bevor die Pandemie in Europa offiziell ankam und das kleine Theater, in dem ich für und mit Kindern arbeitete, zum ersten Mal geschlossen werden musste, waren die Kinder und ich mit dem Brainstorming, das wir ab Januar durch Erzählkunst-Methoden zur Erfindung von Figuren, Orten und Situationen entwickelt hatten, endlich fertig. In einer der Gruppen waren mir zwei Tatsachen sehr klar geworden: sie machten sich Sorge um die Umwelt und wollten die Schule und die Familie fasslich darstellen. Das heißt, über sich selbst, ihre Beziehungen und Umfeld nachdenken. Das Theater war auch für mich dafür da gewesen, als ich ein bisschen älter als diese Grundschulkinder war. Ich erinnere mich noch, wie ich dankbar war, den Weg der Kreativität auf der Bühne in einer besonders schwierigen Phase gefunden zu haben und wie erleichtert ich war, durch die Entdeckung der Möglichkeit meine Gedanken und Gefühle so auszudrücken, mich von einer bestimmten Dunkelheit befreien zu können und die Existenz anders wahrzunehmen.

Als Theaterpädagogin versuchte ich immer, einmal pro Jahr einen schon existierten Text vorzuschlagen oder ihn kollektiv auszuwählen, um unsere eigene Fassung zu entwickeln und inszenieren. Jedes Mal mit unterschiedlichen Theaterformen... aber mehr Spaß hatten wir immer mit den Spielen, die offenbaren was einem in den Sinn kommt, gehabt. Damit dauert es immer länger, ein Stück zu entwickeln, schreiben und korrigieren lassen; den Roten Faden zu verlieren ist einfach (besonders auf eine Fremdsprache und mit wenig Zeit für den Konzeptionsprozess), aber ich bin davon überzeugt, dass mehr als reine Techniken beizubringen, das ist was paralell den Kindern beim Schauspielen wirklich fördert.

Dieses Mal wollte ein Junge einen Kosmonaut unbedingt spielen und ich hatte entschieden, dass die Rolle perfekt war, die ganze Gruppe bei einer Improvisation über ihre Gefühle gegenüber der Erde mit Musik, Lichte und konkrete Aufgaben auf der Bühne zu führen. Sie sollten zusammen, aber individuell, aus einem imaginären Raumschiff aussteigen, sich vorstellen, dass sie im Weltraum schwebten und auf einer Beobachtungsplattform der Erde (am Rand der Bühne) gelandet haben. Von dort oben schauten sie mehreren Minuten auf den Boden und stellten sich dabei vor, dass sie unseren Planet aus dem Weltraum beobachteten. Unter meiner Leitung haben sie dann ihre eigenen Gedanken weiter entwickelt und auf die daraus folgende Gefühle geachtet. Nach einer Weile schwebten sie zurück zum Raumschiff und schliefen ein. Damit war die Improvisation vorbei und die Musik und das Licht aus. Am Ende der Improvisation haben die Kinder über die Gesten, die sie gefunden hatten, und die Gefühle, die sie gespürt hatten, gesprochen. Alle haben die Angst erwähnt; ich hatte sie ziemlich deutlich an ihren Augen, Händen und Mündern auf der Bühne schon gesehen. Danach haben sie eine Hausaufgabe bekommen und zwar das Schreiben eines Gedichtes, Liedes, Monologes oder was sie wollten. „Ich habe Angst weil...“ wäre der Titel. In der folgenden Woche nur Carla hatte was schon geschrieben. Sie las was sie brachte und ich dachte, dass es ein guter Epilog werden könnte, brächten sie alle langsam mehr Texte oder nicht. Das war aber die letzte Theater-Stunde der Gruppe, kurz vor der Schließung der Theater in Berlin geordnet wurde. 

Der kleine Kosmonaut war der erste, der vom Theaterkurs abgemeldet wurde. Der Puppen-Spieler war der letzte, schon als wir mit neuen Kinder in der Gruppe, 6 Monaten später, wieder angefangen hatten, das Stück weiter aufzubauen. Damals wollten wir noch ein lustiges Kabarett für die Familie vorstellen, sogar mit Klavier, Trompete, Flöte, Ukulele, Gesang, Poi Actionsbänder, Akrobaten und Kosmonauten. Aber mit dem Fall ist die zweite Welle der Pandemie auch in Berlin angekommen; das Theater war ohnehin kaum lebendig als der zweite Lockdown kam. Der Virus wird immer stärker und niemand weiß, wenn die Kultureinrichtungen ihre Türen wieder öffnen und die Arbeit wieder aufnehmen können, je nach Perspektive mehr oder weniger relevant...

Mittlerweile beschäftige ich mich immer weiter als Künstlerin, Pädagogin und womit was gebraucht ist (solange wie ich es machen kann und die Grenzen des Prekariats mir erlauben). Zu Hause, im Hof, online, auf die Straße, per Post und irgendwo, am besten wo ich an das Projekt glaube und mich als Teil einer Gemeinde fühle. Gestern, ungefähr 10 Monaten nach der ersten Sperre und 5 Jahren seit ich auf dieser Bühne angefangen habe zu arbeiten, habe ich mich auch verabschieden. Neben vielen anderen Fähigkeiten, habe ich dort gelernt, mir die Schnee vorzustellen und mit Wörtern auf Deutsch zu spielen. Ich bin bereit, um wieder in die Zukunft frei zu schweben. 


Levi, 9 Jahre alt

Carla, 8 Jahre alt

Jessica, 6 Jahre alt

Aron, 8 Jahre alt



     

                                                           


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