Kaffee Tsunami

Meine Beziehung mit Berlins Wänden und Toilettentüren ist ziemlich lang. Als ich für das zweite Mal als Touristin die Stadt besuchte, verliebte ich mich in sie. Es war 2004 und ich erinnere mich noch, wie ich mich im Kunsthaus Tacheles, damals wahrscheinlich das wohl berühmteste besetzte Haus in Europa, im siebenten Himmel befand. In einer der vielen öffentlichen Toiletten mit Unmengen von Klopapier für die Gäste (was dort, wo ich herkomme, nicht immer der Fall noch heutzutage ist), las ich erst eine Art von Gedicht auf Englisch über die grausame Zukunft der Erde und zwar über den letzten Fisch im Fluss und die Unfähigkeit für die Menschheit, dann noch Geld essen zu können. Auch deshalb dachte ich, das ist der Ort, an dem ich leben möchte.

Drei Jahre später kam ich als Praktikantin zurück durch ein Europäisches Program, Leonardo da Vinci genannt, um die erste Stufe der Sprache im Ernst zu lernen (weil was die deutsche Sprache betrifft: was man im Gymnasium für 3 Jahre lernt, vergisst man noch schneller), die Stadt besser kennen zu lernen und Kontakte mit Theaterleuten zu knüpfen. Es war der erste Morgen in der Sprachschule, im Café beim Wintergarten in Schöneberg, als mir klar wurde, dass das Thema Sprache und Gewohnheiten viel komplizierter sein könnte, als ich erwartet hatte... ich war froh, dass ich die Kaffees für mich und die Kollegen schon auf Deutsch bestellen konnte, wenn DIE FRAGE kam: zum hier trinken oder zum mitnehmen? Ich verstand nicht, da konnte ich nichts, denn das Konzept des Mitnehmens selbst mir so fremd wie das Wort war. Ich wiederholte: zu trinken, oder?... Und die Mitarbeiterin hinter dem Tresen fragte lauter: ZUM MITNEHMEN?! Immer wieder bis sie sich endlich entschied, mir die Kaffees zu geben, die ich mitnehmen sollte. Ich war völlig verwirrt für eine Weile, in meinem Kopf das Versuch, mit dem unbekannten Sound des fremden Wortes eine Bedeutung zu finden: Tsu Nam, Tsunami, Kaffee Tsunami. 

Tacheles gibt es nicht mehr. Von dem Gedicht habe ich mittlerweile überall auf diesem Kontinent unzählige Fassungen auf mehreren Sprachen gelesen, die immer härter werden. Ich habe es gelernt, wie man Kaffee hier richtig bestellt und welche Kaffeesorten in welchen Cafés zu vermeiden sind. Aber jetzt, wo wir in einer Pandemie leben, habe ich das Gefühl, dass es auch neue Gewohnheiten gibt, die ich nicht lernen soll. Seit meine Waschmaschine kaputt geworden ist, gehe ich wie vor 14 Jahre als Neuankömmling in den Waschsalon - mit meinem Wäschebeutel und meinem eigenen Becher um irgendwo Kaffee zu holen und beim Spazieren warten. Ich habe es gelernt, das Mitnehmen zu genießen und ich habe auch die Gewohnheit entwickelt, dafür einen Becher zu tragen. Das geht aber gerade nicht. Wegen des Virus! Sagen die Mitarbeiter unvermeidlich. Und auch dass sie nur Befehle befolgen. Die Cafés sind zu, die Kaffees darf man kaufen, aber mitzunehmen - jedes Mal unbedingt auf Papier und Plastik sofort wegzuwerfen. Ich frage mich, ob die Leute überhaupt kapieren, dass solche fehlende Verantwortung für die Umwelt mit dem Virus zu begründen, genauso viel Sinn macht, wie sich einen Tsunami zu wünschen, der das Chaos wegspülen könnte.



 Only when the last bee hums...

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